Kein Plan ohne Änderung. Wir haben fast 45 Tage ziemlich genau durchgeplant. Um uns möglicherweise mehr Regeneration zu erlauben, hatten wir alle 7 Tage einen Pausentag eingeplant. Sogar das Wetter hat – abgesehen von zwei Gewittern mit Starkregen und Hagel die ganze Zeit mitgespielt. Sogar sehr gut mitgespielt. Womit wir nicht gerechnet hatten war eine Magen-Darm Erkrankung, die uns beide nacheinander jeweils 2 Tage beeinträchtigte. Mich legte es in Bozen völlig flach. Unfähig, mich zu bewegen, selbst kaltschweißig und doch die Kühlung des Klimageräts benötigend, da es draußen in diesen Tagen in Bozen abartig heiß war, 36° plus. Undenkbar, so weiterzuwandern, gerade die tieferliegenden heißen Hänge und Kastanienwege oberhalb Bozens jetzt mit dem Rucksack zu durchqueren, der Magen leer, völlig übersäuert – wie soll das gehen? Also noch eine Planänderung. Auch das Stück von Bozen nach Andrian werden wir also mit dem Bus und dem ÖPNV machen, geht nicht anders. Dort kommen wir am späten Vormittag an, dürfen bereits in unser Zimmer einchecken, ich gleich wieder ins Bett. Das Zimmer geht zum Garten, Palmen sorgen für Schatten und gedämpftes Licht, eine Wohltat nach Bozen.
Abends ist es dann so, dass ich wieder etwas essen kann, aber Magen und Darm arbeiten noch nicht richtig zusammen. Essen muss ich aber, denn am nächsten Tag stehen 2.200 Höhenmeter und über 20 Kilometer Strecke auf dem Programm, bisher haben wir noch keine wesentlichen Teile der Ursprungsplanung verloren. Beim Frühstück erzählt uns der Besitzer etwas zu der Baumaßname hinter seinem Grundstück. Arbeiter hängen an Seilen mit dem Presslufthammer in den Felsen und arbeiten den Berg weg. Hier soll ein hochpreisiges Bauprojekt entstehen, ein Konsortium hat – mit wohl überraschend und ungewöhnlich schneller Genehmigung durch die Gemeinde – drei kleine Bauplätze zusammen gekauft. Trotzdem ist das Grundstück wohl zu klein. Denn 8000€ pro qm versprechen hier rasches Geld. Und mehr dieser Quadratmeter bringen eben mehr Geld.
Zwar wird sich laut Wirt von den jungen Leuten hier aus dem Ort niemand den stattdessen dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum leisten können – die Gemeinde unternimmt jedoch nichts. Der Wirt meint, es sei halt so, die Leute kauften diese Wohnungen, obwohl selbst aus Investorensicht bei 8000€ kein Gewinn mehr zu erwarten sei. Ich frage nach: ist die erste Ursache dieses offensichtlichen Missstandes die Nachfrage der trotzdem Kaufwilligen – oder sind es nicht eher die Investoren und Banken, die – mit der politischen Billigung des Gemeinderats – den ganzen Unsinn und Ausverkauf erst in Gang setzen? Sowohl er als auch wir haben leider zu wenig Zeit, wir müssen weiter. Zunächst steigen wir durch den Ort Richtung Wald, vorbei an den Apfelplantagen, die selbst hier am Hang wie auch im ganzen Tal das Bild bestimmen. Absolute Monokulturen, die wegen des Massenanbaus und auch um das Apfelideal der Supermarktketten in Deutschland und Europa zu gewährleisten nicht ohne jede Menge Glyphosat und anderer Spritzmittel auskommen. Dazu werde ich aber an anderer Stelle unserer Tour noch etwas schreiben. Jetzt steigen wir in den Wald, der sich hier wie eine Wand auftut, ein. 1200 Höhenmeter sehr steiler Aufstieg, ohne Absatz und Punkt und Komma werden uns die nächsten ca. 3,5 Stunden beschäftigen – wir verlassen die Ebene des Etsch und kommen nach drei Tagen endlich wieder in die Berge, streifen die Nonsberggruppe.
Ständig etwas sauer und mit viel Verstellerei des Hüftgurts, damit er nicht zu sehr auf den Magen drückt geht es den eigentlich superschönen Weg nach oben. Es geht, irgendwie. Oben angekommen nähern wir uns der Gegend rund um St. Felix. Einer bäuerlich und vom Tourismus geprägten Gegend. Auffällig sind die zwischen den Lärchenbäumen sauber freigeräumten, bzw. bereits gemähten Wiesen, es wirkt fast ein bisschen wie eine Parklandschaft. Überall sind anscheinend ganze Familien unterwegs und rechen das bereits gemähte Gras zusammen, damit es mit dem Ladewagen aufgenommen werden kann. Ein älterer Bauer sieht, daß ich ihm zusehe, schaut mich fragend an. „Schöne Arbeit, zumindest wirkt es auf mich so!“ Er lacht und meint, sie müssten sich nur etwas beeilen, nachmittags ist Regen und Gewitter gemeldet. Auch wir müssen weiter, die
meisten Höhenmeter haben wir zwar, es sind aber noch etliche Stunden und dabei nochmals 800 Meter Höhe bis zum Tagesziel, der Malga (gleich Alpe) Castrin. Trotzdem kommen wir nicht vorbei daran, wenigstens kurz in den schönen Natursee, den Felixer Weiher zu springen und uns dabei von den Fischen anknabbern zu lassen. Bergpiranhas! Aus dem Wasser, abgetrocknet und angezogen fängt es zum ersten Mal an zu regnen. Dann wieder knallt eine heiße Sonne. Als wir grade an einem abseits gelegenen Sägewerk im Wald vorbeigekommen, bricht endlich das Gewitter los, unter etwas Dachüberstand können wir uns grade so unterstellen. Wir rufen auf der Alm an und kündigen an, dass wir noch 3 bis 3,5h weg sind, vermutlich also erst später einlaufen: Non e una problema, dort ist
immer jemand! Wir sind auf der anderen Seite des Ultentals, dem Val di Non, wir laufen genau auf der Spachgrenze. Der Zeitdruck ist also schonmal geklärt, fast eine halbe Stunde warten wir bis Starkregen und Hagelschauern anscheinend vorbei sind.
Wir (also eigentlich Cilli!) finden die Wegspuren entlang eines Baches, die uns ein, zwei Kilometer Weg sparen. Alles ist nass, rutschig, zugewachsen – eingepackt in Anorak und Regenhose gehts steil durch vermoosten Wald. Als wir endlich wieder auf den regulären breiten Almweg stoßen sind es noch zwei Kilometer. Auch das geht vorbei. Die Malga Castrin ist eine schöne Alm mit Bewirtung und einigen Betten. 35 Kühe produzieren die Milch für etwa 35 Kilo Käse pro Tag — 15€ pro Kilo, da sind die zusätzlichen Gäste, vor allem Tagesgäste, eine willkommene Zusatzeinnahme. Wir sind froh, angekommen zu sein, trinken erstmal etwas – da schlägt der MagenDarm Infekt plötzlich bei Cilli zu. Sofort ist klar – morgen kommen wir hier nicht weiter! Wir können um eine weitere Nacht verlängern, erstmal gut. Ohne das Abendessen anzurühren, mit etwas Tee verschwinden wir beide im Bett, Cilli ist arg gebeutelt. Durch diesen folgenden zwangsweise „Ruhetag“, der keiner ist, fällt ein erster Teil des geplanten Weiterweges weg – geht nicht anders!