Jetzt beginnt der Karnische Höhenweg seine volle Schönheit und Besonderheit zu zeigen. 1140 m gehen wir heute hoch und 930 m herunter, wieder ein langer Tag mit 23,5 Kilometern. Sehr abwechslungsreich, große Weiten und weite Blicke, das ist wohl das, was man über den gesamten Karnischen Höhenweg sagen kann. Die Berge ähneln vielleicht den Dolomiten, dazwischen immer wieder ewig lange grüne Almen. Am Ende zieht sich der Weg steil am Hang lang, passiert eine ausgesetzte kleine Schlüsselstelle, einen regelrechten „Step“. An einem kleinen See und an Kühen in den Wolken vorbei kommen wir endlich zur Zollnerseehütte.
Hier werden wir von Wolfgang, dem Hüttenwirt und einem sehr engagierten Team bereits erwartet. Dabei sind sie alle erst ganz frisch ein paar Tage zusammen, eine Deern aus Hamburg erklärt uns den Ablauf. Es gibt kein hefefreies Alkoholfreies, deswegen steige ich hier um auf den hausgemachten „Durstlöscher“, eine Mischung aus Holunder, Apfel und Wasser. Wolfgang erzählt uns, das er auch gerne ausserhalb der Hüttensaison, die aus strengem Tagesablauf besteht (bis zu 200 Tagesessen am Tag) hier auf „seiner“ Hütte ist, manchmal alleine mit seinen Büchern. Deswegen nennt er seinen Urlaubsort auch gerne den Kanarischen Höhenweg. Wir steuern als Alternative den Karibischen Höhenweg bei – das fand er auch gut.
Außerdem erzählt er von einem Engländer, der gerade vor ein paar Tagen hier durchkam. Er ist auf dem Weg zu einem Weltrekord der Alpendurchquerung: von Triest zur Zollnerseehütte hat er gerade mal 6 Tage benötigt. Da sieht man, wie relativ unser eigenes Projekt ist. Wir erzählen ihm davon, er will, daß wir nur Gutes über seine Hütte und sein tolles Team berichten. Etwas anderes würde uns nie einfallen. Neben der Hütte steht eine interessant konstruierte Friedenskapelle. Die Einrichtung innen ist einfach, wesentlich sind die Listen der hier Gefallenen, es werden nicht nur Österreicher oder Deutsche, sondern auch Italiener erwähnt – nebst der Grate oder Stellungen, an denen sie umgekommen sind, oder auch die Todesursachen, oft einfach auch Entkräftung und Herztod.
Überhaupt befinden wir uns spätestens ab gestern in einem ehemaligen Kriegsgebiet des 1. Weltkriegs. Schätzungsweise 150.000 bis 180.000 Soldaten sollen in den erbittert umkämpften Bergen ihr Leben verloren haben. Deswegen wird der Karnische Höhenweg auch als Mahnmal oft Friedensweg genannt. Der Karnische Höhenweg ist dabei ein Teil des Frontverlaufs, der sich vom Stilfser Joch bis zu den Julischen Alpen zog – also fast genau die Route des 1. Teils unserer Wanderung. Wenn wir die Reste der Gräben betrachten, wir das unvorstellbare Leid inmitten dieser berückenden Landschaft nicht wirklich nachvollziehen können – drängen sich doch Fragen zu Heute auf. Warum Krieg? Gebietsansprüche der herrschenden Monarchien und Imperialismus haben im 1. Weltkrieg Nachbarvölker gegeneinander gehetzt. Den Soldaten wurde dabei – unabhängig von der Frontseite – vermittelt, für die richtige Seite zu kämpfen. Auch heute vermögen die einflußreichen Leader lediglich für den eigenen Machterhalt Völker gegeneinander zu hetzen. Die Putins und Assads halten derzeit überall in der Welt noch den Daumen auf ihre Soldaten, schicken sie in die Gräben der Karnischen Höhenwege der Heutezeit. Warum können sie das? Wieso lässt man sie machen? Wer gibt ihnen die Macht? Wer hat sie nicht verhindert? Wem nützt der Krieg? Wer verdient daran? Wäre der Krieg zwischen Russland und der Ukraine nicht längst zu Ende, wenn nicht auf beiden Seiten (in Russland und auch im Westen) die Vermögenden daran nicht verdienen würden? Würde heute über „Wehrfähigkeit“ und „Kriegstauglichkeit“ nachgedacht werden, wenn das demokratische Verständnis und die gesellschaftliche Teilnahme Aller funktioniert hätte? Das einzelne Individuum kann diese Fragen oft nicht beantworten oder lösen. Ihm bleibt die Option, sich dem zu entziehen, durch Flucht, Desertion oder Abtauchen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung muß deshalb weltweit durchgesetzt werden. Auch das könnten wir vielleicht aus dem Karnischen Höhenweg lernen.