29.07. + 30.07.2024 Bozen

Als nach dem Frühstück alle abgereist sind, haben wir beschlossen auf der Terrasse des Hotels erstmal in Ruhe unseren Blog weiterzutreiben. Erst später sind wir dann mit dem Bus – alle Bustickets der engen regelmäßigen Verbindungen sind hier im Hotelpreis enthalten – von Völs ins quirlige Bozen herunter gefahren.

Bereits auf den 2 Kilometern Weg vom Bahnhof ins Hotel merken wir: nach den Höhen ist es hier unten nicht nur sowieso deutlich wärmer, eine Hitzewelle hat die Stadt erfasst, an die Ozon- und Stickstoffkonzentration der Zivilisation, der Staulage Bozens geschuldet, müssen wir uns erstmal wieder gewöhnen. In unserem einfachen, für Bozener Verhätnisse bezahlbaren Hotel bleibt dann auch die Wahl zwischen Klimaanlage oder frischer, heißer Luft von draußen. Später fällt uns auf, Bozen ist eine sehr radfreundliche Stadt, es gibt viele gutausgebaute Radwege, die gesamte Altstadt ist eine Mischzone für FußgängerInnen und dazwischen durchflitzende RadfahrerInnen, das funktioniert hier sehr gut, niemand klingelt, alles fließt. Und anscheinend haben auch die zahlreichen Geschäfte dadurch keinerlei Einbußen!

Natürlich flanieren wir durch die Stadt, versuchen mit Bildern einzufangen, was uns auffällt. Neben der mittelalterlichen Architekur gibt es auch zahlreiche Gebäude aus der Mussolini Zeit. Bemerkenswert ist der Satz von Hannah Arendt, der vor dem faschistischen Wandfries am heutigen Plaza Tribunale angebracht wurde: „Kein Mensch hat das Recht, zu gehorchen“.

Leider fange ich mir irgendwo auch etwas ein, was mich komplett ausschaltet, den Nachmittag und die Nacht verbringe ich in der Nähe der Toilette, bis ich komplett leer bin. Die Vorstellung, morgen wie geplant ca. 25 Kilometer die steilen heißen Hänge der Kastanienwege entlang zu wandern, ist undenkbar. Wir müssen auch hier auf den Plan B, also den Bus bis nach Andrian ausweichen. Hoffentlich fängt sich mein Magen, auch übermorgen steht mit der längsten Etappe zur Malga Castrin und 2000 Höhenmetern einiges auf dem Programm. Im Nachhinein die Erkenntnis: vielleicht ist es nicht so gut, Städte als „Ruhetag“ einzuplanen!

Bozen ist die Landeshauptstadt Südtirols. Wie unsere Wanderung in der Linie des Friedensweges geprägt ist vom Ersten und Zweiten Weltkrieg ist Bozen, schön wie es ist, davon ein Konzentrat. Hier ein kurzer Ausflug in einen für mich bis zu dieser Reise völlig unbekannten Teil Geschichte.

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre kam es zu einer Annäherung der Diktatoren Adolf Hitler und Benito Mussolini. Zunehmend erwies sich jetzt das „Südtirolproblem“ – die nicht integrierbare deutschsprachige Minderheit an der Brennergrenze – als Störfaktor für die freundschaftlichen Beziehungen der Achsenmächte. Die Lösung hieß Umsiedlung: Als „Option“ wird diese Abwanderung in die Geschichte eingehen, da die Deutschsprachigen in den Gebieten südlich des Brenners im Herbst 1939 „frei wählen“, also eine Option haben sollten: sie konnten sich für einen Verbleib im Land unter italienischer Führung oder für eine Abwanderung ins Deutsche Reich entscheiden.

Die Option begann Mitte 1939 und erzeugte einen Riss zwischen den beiden Gruppen, die als „Optanten“ und als „Dableiber“ bezeichnet wurden. Insbesondere als die Frist von Ende 1942 auf Ende 1939 vorgezogen wurde, da im zwischenzeitlich besetzten westlichen Polen große Gebiete besiedelt werden sollten.

Bis zum 31. Dezember 1939 optierten (unter Druck und Stimmungsmache!) rund 85% für Deutschland, bis 1943 wanderten aber aufgrund der kriegsbedingten Verzögerungen nur ca. 75.000 Personen aus. In diesem Jahr wurde die „Operationszone Alpenvorland“ gebildet und Südtirol damit de facto von der Wehrmacht besetzt. Nach dem Krieg sicherte dann das Pariser Abkommen zwischen Italien und Österreich vom 5. September 1946 die Möglichkeit zur Rückkehr zu, wovon etwa 20.000 „Rücksiedler“ Gebrauch machten.
(Der Südtiroler Reinhold Messner hat über Die Option ein Buch geschrieben, es war kurzfristig allerdings nicht zu bestellen. Quellen zum Text oben: Haus der Geschichte Österreich und Wikipedia)

In der Folge entwickelte sich daraus eine jahrzehntelange politische Auseinandersetzung um den Sonderstatus und den Autonomiegrad für das deutschsprachige Südtirol. Bei Interesse bitte unter Autonomie Südtirol nachlesen.

Heute, also 85 Jahre später, benennt die regierende SVP (Südtiroler Volkspartei) in ihrem Parteiprogramm zwar das erlittene Unrecht durch die italienischen Faschisten. Geht aber gleichzeitig heute Allianzen ein mit deren Nachfolgern. Hauptsache an der Macht bleiben?

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Günter Bergmann

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