28.6.2024 Kamnik

Hier, ungefähr 25 Kilometer nördlich von Ljubljana fängt unsere Durchquerung des Alpenbogens an. Um erstmal gut anzukommen und die letzte Hektik der Vorbereitung unserer Tour loszuwerden, haben wir uns hier 2 Nächte eingebucht.

Kamnik ist eine sehr schöne mittelalterliche Stadt, einer der ältesten Sloweniens, im 11. Jahrhundert erstmalig erwähnt. Gebäude aus allen Epochen prägen das Stadtbild, rote Dächer zwischen grünen, bewaldeten Hügeln. Die ganzen Brauereien auszuprobieren erlaubt unsere mühsam erarbeitete Fitness nicht, wir haben ja auch nur einen Tag Zeit!

Hier gibt es nicht nur eine reiche Sakral- und Handwerkskultur, fließen nicht nur die klaren Flüsse Kamniška Bistrica (Freistritz) und Nevljica zusammen, sagen sich nicht nur Luchse, Bären und Wölfe in den umliegenden Wäldern Gute Nacht.

Im Gemeindebezirk liegen auch einige Massengräber, datiert unmittelbar nach Kriegende.

Das stößt uns mittenrein in die Geschichte der Verwerfungen von zwei Weltkriegen, auf die wir bei unserer Durchquerung ab hier bis zum Stilfser Joch immer wieder treffen werden.

Als Einstieg ein kurzer Ausflug in die Geschichte unseres Wanderlandes Slowenien, ein Exkurs in Titos Jugoslawien. Denn Josip Tito arbeitete nicht nur kurzzeitig als Schlosser in Kamnik, sondern Anfang der 1920er Jahre auch als Wanderarbeiter bei uns in Mannheim, „beim Benz“.

Viel später (1965) wurde er dann „Führer Jugoslawiens auf Lebenszeit“. Solche Titel gehen immer zusammen mit einer harten unterdrückerischen Hand, Gefangeneninseln, einer Geheimpolizei, Folter und Mord an den politischen Gegnern. Dem ganzen bekannten Repertoire autokratischer Regime zur Aushebelung von Menschenrechten.

Bei Tito lohnt sich trotzdem das nochmalige Hinschauen. Seine erste Bekanntheit erreichte er sicher als Partisanenführer, einer gegen Ende des Krieges 1944 von 80.000 auf 400.000 Mann erstarkten Widerstandsarmee. Mit Waffen aus England unterstützt, gelang es Tito in Jugoslawien eine für die Nazis Kräfte zehrende weitere Front aufzumachen, später konnte diese Partisanenarmee das Land sogar aus eigener Kraft selbst befreien. Die Jahre vorher hatte es brutalste Massaker durch die Wehrmacht gegeben. Es galt der Befehl, für einen gefallenen Deutschen 100 Menschen aus der Zivilbevölkerung zu ermorden. Mit deutscher bürokratischer Gründlichkeit wurde bei der Umsetzung 1941 in Kragujevac (Serbien) darauf geachtet: für einen Trupp von 10 getöteten und 26 verwundeten Deutschen wurden fast 2800 Personen der Zivilbevölkerung (auch Frauen und Schulkinder) zusammengetrieben. Für ganz Jugoslawien bedeutete der deutsche Größen- und Rassenwahn am Ende 800.000 bis 1 Million Tote. Das haben wir im Hinterkopf, wenn wir heute die besondere slowenische Gastfreundschaft und Herzlichkeit spüren. Nach dem Krieg propagierte der zum Staatsoberhaupt gewählte Tito nach außen einen eher sozialistischen, offeneren „Dritten Weg“.  Anders als in der DDR gab es in Jugoslawien Reisefreiheit, war man auch dem Westen zugewandt, in den Siebzigern war Jugoslawien in Deutschland ein begehrtes Urlaubsziel.  In den Betrieben wurde als Organisationsmodell Arbeiter-Selbstverwaltung ausprobiert (Autogestion). Studentische Unruhen wurden statt durch Niederschlagung mit Gespräch beantwortet. Von Stalins Terror distanzierte sich Tito, verurteilte den Militäreinsatz der übrigen kommunistischen Länder gegen den „Prager Frühling“. Er schuf mit anderen zusammen die Bewegung der Blockfreien, die Auswirkungen von Kolonialismus und Imperialismus wurden erstmalig thematisiert, als Gegenbewegung auch gegen die drohende Atomkriegsgefahr. Über 120 Staaten sind noch heute darin organisiert. Es gelang Tito bis zu seinem Tod 1980 den multiethnischen, multireligiösen Staat Jugoslawien gegen alle nationalistischen Bestrebungen zusammenzuhalten. Was sicherlich erklärt, warum die Person Tito heute in den Staaten Ex – Jugoslawiens und darüber hinaus in Europa sehr unterschiedlich diskutiert wird.


Wir lassen Kamnik morgen hinter uns, starten endgültig in die Steiner Alpen, zunächst die Kamniška Bistrica lang bis zum Talende, dann ein erster Aufstieg von 1200m, die Nacht verbringen wir in der Cojzova Koca. Koca bedeutet Hütte. Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sind ganz gut.

 

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Günter Bergmann

3 Gedanken zu „28.6.2024 Kamnik“

  1. Ihr Lieben, danke, dass Ihr uns mitnehmt auf die Wanderung – und für die wunderbaren Texte. Wäre sehr schade gewesen, wenn Ihr dieses Blog nicht aufgesetzt hättet. 😊 Viel Spaß auf dem Weg zum Triglav, Slowenien ist so schön! 💕

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  2. Ich freue mich auf viele spannende und schöne Einblicke und Ausblicke.
    Schon dieser Start mit den schönen Bildern und interessanten Informationen ist toll zu lesen, beflügelt das Fernweh und macht Lust auf mehr.
    Ich bleibe euch auf den Fersen und wünsche euch alles Gute und viel Spaß !!!

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  3. Bewundere Eure Wanderlust und wünsche Euch alles, was Ihr Euch wünscht. Tolle Erfahrungen und Erlebnisse, blasenfreies Wandern, gute Kondition und frohe Laune.

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