Ziemlich gemütlich brechen wir nach dem Frühstück von der Zufallhütte auf. Es dauert ein bisschen, bis die Rucksäcke richtig sitzen. Laut Hüttenwart sind 6 – 7 Stunden für die Tour zu veranschlagen. In einer gut gehbaren Steigung geht es zunächst die 900 Höhenmeter von der Hütte auf den Madritschpass. Mit 3123m Höhe wird das „im Vorbeigehen“ die höchste Stelle unserer gesamten Tour dieses Jahr werden. An ein paar Schafen vorbei wird der Anstieg erst ganz oben felsig und schuttig. Die Höhe macht mir etwas zu schaffen, da ich immer noch die Erkältung mit mir rum schleife. Trotzde finde ich einen Rythmus, wir kommen eine halbe Stunde schneller als unten angegeben auf dem Pass an. Traumblick auf das Dreigestirn (Königsspitze, Zebru und Ortler, von links nach rechts).
Oben ist es saukalt und es windet stark. Schnell was angezogen. Dann gibt es ein kleines Schauspiel mit einer Gruppe von E-Mountainbikern, die von Sulden kommend ihre Gefährte die letzten 100 Höhenmeter durch den Schnee schieben. Ab hier haben sie fast nur noch Abfahrt. Ich frage, warum sie nicht Biopower verwenden, sie schieben doch eh und die normalen Bikes sind doch viel leichter? Weiter unten hätten sie noch Unterstützung durch die Motoren gehabt, außerdem bekomme man auch in der Abfahrt E-getrieben nach Stopps in Kurven sehr viel schneller Fahrt drauf. Die beiden posieren vor der grandiosen Kulisse des Ortlermassivs. By fair means ist ihnen behaupt kein Begriff. Der Abstieg vom Madrisch Joch geht entlang einer sehr häßlichen zusammengeschobenen Skipiste. Weiter unten warten dann noch x Schneekanonen und überall Wasseranschlüsse auf der Piste auf das „Leiwandste, das es gibt“. Im Sommer sieht das jedoch ziemlich furchtbar aus, daran ändert auch das Bergpanorama nichts.
Trotzdem spucken die Seilbahnen wieder Menschenmassen aus, die mehr oder minder hoch laufen. Nicht allzuweit sehen wir schon die nächsten Hütten: die Hintergrathütte, unser Ziel von heute. Dahinter leuchtet schon weiß die Tabarettahütte, die wir morgen überlaufen, bei genauem Hinschauen erkennt man oben am Grat auch schon die Payerhütte, unser Ziel morgen. Der Weg zur Hintergrathütte führt ca. 3 Stunden interessant über einen Totgletscher. Direkt unterhalb des Dreigestirns mit seinen drohenden Hängegletschern zieht sich ein auf den ersten Blick gewaltiges Schuttfeld. Erst wenn man drauf steht erkennt man einen beachtlichen Restgletscher darunter- wir laufen auf Eis. Etwas, was für Wanderer eher zu gefährlich ist. Hier ist eine Route abgesteckt, entlang von roten Stangen kann das gewaltige Schutt-/Eisfeld begangen werden. Als besonders schwierig ausgewiesen ist die sehr anspruchsvolle Strecke nicht.
So kommen auch einige Touris aus Sulden bequem mit der Seilbahn hoch und auf die Idee, diesen Weg zu nehmen. So treffen wir unterwegs nach ca. 1 Stunde auf eine italienische Famiie mit 2 kleinen Kindern, die sich bereits ziemlich am Ende ihrer Kräfte meterweise weiterquält. Ob wir helfen können? No, no, grazie. Ok, wir gehen weiter. Als wir sehen, wie weit das Gaze noch ist, überlegen wir kurz. Wollen wir tun, was man sonst tunlichst bleiben läßt — uns einmischen? Ich gehe 200m zurück und frage nochmal, ob wir helfen können. Das Gesicht des Familienvaters hellt sich ein bisschen auf. OK also, wir haben sowieso die Zeit und wir bringen die hier raus. Wir nehmen deren Gepäck, die Eltern tragen die Kinder, Stück für Stück schieben wir uns mit alle 200m etwas Pause weiter. 1,5 Stunden später als geplant kommen wir an der Hintergrathütte an. Dankbar lädt uns die Familie aus der Nähe von Rom zu einem Bier und einem Imbiss ein, das können wir ihnen nicht abschlagen. Ihnen ist schon klar, daß sie sich mit dieser Tour völlig übernommen haben, hoffentlich bleibt das hängen.
Wir bleiben die Nacht auf der Hintergathütte, einer alten, geschichtsträchtigen Klettererhütte. Von hier aus wird über den Hintergrat der Ortler bestiegen. Wasser gibt es nur spärlich aus dem Schneefeld und über lange Leitungen aus dem Gletscher. Wir sind mit 3 jüngeren Bergsteigern aus Deutschland auf dem Zimmer, die sich hier morgen und übermorgen ausprobieren wollen, eventuell übermorgen bei gutem Wetter die Chance auf den Gipfel nutzen wollen. Während wir essen, die Gaststube ist gut gefüllt und mit einem Kaminofen beheizt, bricht draußen das Gewitter los, Hagel prasselt vor der Eingangstür auf die Veranda. Strom und Licht gibt es nur, wenn draußen der Generator läuft, dann rennen alle zur Steckdosenleiste, um ihre Handys aufzuladen. Trotzdem eine schöne, irgendwie „zünftige“ Südtiroler (darauf legen sie wert!) Hütte.